Hollywood lässt Ängste entstehen

Wie vertrauenswürdig ist KI?

Laut Wolfgang Hildesheim, Director Watson, Data Science & Artifical Intelligence Leader bei IBM in der DACH-Region, trägt gerade Hollywood viel dazu bei, dass die Erwartungen an KI zu hoch sind und unbegründete Ängste entstehen.

Wolfgang Hildesheim, Director Watson, Data Science & Artifical Intelligence Leader bei IBM in der DACH-Region

Wolfgang Hildesheim von IBM ist Mitglied der Steuerungsgruppe zur Erarbeitung einer „Normierungsroadmap KI“ für Deutschland.

ITD: Herr Hildesheim, laut einer aktuellen PwC-Studie setzen erst sechs Prozent der Unternehmen in Deutschland Künstliche Intelligenz ein oder implementieren derzeit KI-Systeme. Was sind mögliche Bremsfaktoren?
Wolfgang Hildesheim:
Derzeit trennen Unternehmen noch viele Hürden davon, die Vorteile von Künstlicher Intelligenz (KI) für sich zu nutzen. Bremsfaktoren sind häufig unzureichende Erfahrungen oder Kenntnisse, um KI erfolgreich im Unternehmen verankern zu können. Datensilos und fehlende Werkzeuge für die Entwicklung von KI-Modellen sind auf der technischen Seite dafür verantwortlich. Bedenken zeigen sich allerdings auch hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit von KI. Die Verantwortlichen in den Unternehmen machen sich Gedanken, ob sie KI vertrauen können und ob die neuen Technologien auch allen rechtlichen Vorschriften entsprechen. Zentral ist auch die Frage, ob und wie sich die Entscheidungen von selbstlernenden Maschinen nachvollziehen und überprüfen lassen.

ITD: Für welche Branchen eignet sich KI generell am besten und warum? Wie sehen – abgesehen von Chatbots und digitalen Assistenten – konkrete Einsatzszenarien aus?
Hildesheim:
Wenn wir von Künstlicher Intelligenz – oder vom englischen Begriff Artificial Intelligence (AI) – sprechen, dann meinen wir Funktionalitäten, die dazu dienen, Menschen zu helfen, ihre täglichen Aufgaben im Arbeitsleben besser zu bewältigen. Es geht darum, Informationen aufzunehmen und zu verstehen, Schlüsse zu ziehen, zu lernen und zu interagieren. Damit kann unsere Entscheidungsfindung unterstützt werden, und es können zusätzliche Erkenntnisse aus Daten gewonnen und bereits vorhandenes Wissen für Millionen von Menschen nutzbar gemacht werden. Auch werden Prozesse effizienter, weil einfache Schritte automatisiert werden.

Außerdem kann die Interaktion zwischen Mensch und Maschine vereinfacht und personalisiert werden. Die Einsatzmöglichkeiten sind damit nahezu unbegrenzt: in Forschung und Entwicklung ebenso wie in der Lehre und in der Wirtschaft, bei der Unterstützung von Experten sowie bei der Optimierung von Prozessen, Produkten und Services, als intelligente Assistenz- und Mobilitätsdienste sowie in vielen Bereichen des Gesundheitswesens. In diesem Sinne bedeutet AI eher Augmented Intelligence, also die Erweiterung menschlicher Intelligenz. Es geht um „Mensch mit Maschine“, nicht um „Mensch gegen Maschine“.

Die Fähigkeit von intelligenten KI-Systemen wie IBM Watson ist es, in großen Datenmengen Muster zu erkennen und intelligente Vorhersagen zu treffen, wo die kognitiven Fähigkeiten des Menschen nicht mehr ausreichen. Konkrete Einsatzszenarien:

Bilanzierung: Durch einen neuen Rechnungslegungsstandard müssen Leasing-Verträge in den Unternehmen im Hinblick auf die veränderten Bilanzierungsregeln analysiert und bewertet werden. Zusammen mit KPMG haben wir eine Lösung entwickelt, bei der Watson eigenständig Leasing-Verträge nach bestimmten Attributen auswertet und für die weitere Bearbeitung vorbereitet.

Rechtsberatung: Anwälte verbringen bis zu 80 Prozent ihrer Zeit mit Problemen, die sie oder ihre Kollegen schon einmal gelöst haben. Die Legal-Tech-Unternehmen 123recht.de und Frag-einen-Anwalt.de nutzen die Künstliche Intelligenz von Watson, um bezahlbare Rechtsberatung zu ermöglichen. Die KI hilft, die richtige Antwort auf sich wiederholende Rechtsfragen zu finden.

Fertigung: KI-basierte Systeme können auch den Wartungstechniker unterstützen, der ein spontan aufgetretenes technisches Problem an einer Fertigungsanlage idealerweise so schnell wie möglich beheben soll oder auch Hilfe bei regelmäßigen Wartungstätigkeiten benötigt. Der Einsatz von KI, Bilderkennung, Dialog in natürlicher Sprache und Augmented-Reality-Techniken erleichtert dem Techniker die Arbeit und sorgt für korrekte und effektive Ausführung seiner Aufgaben.

ITD: Wie lassen sich die wahren KI-Fähigkeiten eines Anbieters erkennen?
Hildesheim:
Das Thema „KI“ ist ein Megatrend und es werden in den Medien auch eine Vielzahl an philosophischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekten diskutiert, die zum Teil aktuell keine praktische Relevanz haben. Gerade Hollywood trägt viel dazu bei, dass die Erwartungen an KI zu hoch sind und unbegründete Ängste entstehen. Daher lässt sich ein guter Anbieter von KI-Lösungen daran erkennen, dass er in kleinen Schritten schnell – innerhalb von Wochen – erste einfache KI-Anwendungen entwickelt und „live“ schalten kann. Alle diese Anwendungen sind „narrow KI“ mit niedrigem Risiko und kleinen Automatisierungen, die der Mensch komplett kontrolliert. Interessenten sollten sich vom Anbieter Referenzen und andere erfolgreiche Kundenprojekte zeigen lassen und diese persönlich ausprobieren. Auf diese Weise kann sich jeder einfach überzeugen, welche Anwendungen möglich sind, so dass die Erwartungen an ein eigenes KI-Projekt nicht zu hoch oder zu niedrig sind.

ITD: Was sind klassische Fallstricke beim Aufsetzen von KI-Projekten im Unternehmensalltag? Welche Stolpersteine gibt es bei der Implementierung?
Hildesheim:
Häufig sind die Erwartungen zu hoch. Es sind die Organisationen am erfolgreichsten, die in kleinen Schritten neue KI-Fähigkeiten entwickeln und dann Schritt für Schritt produktiv schalten. Wichtig ist es, in enger Zusammenarbeit mit den Anwendern die Funktionen zu optimieren und zu erweitern: Die Lösung muss zur Zufriedenheit der Anwender arbeiten. Typischerweise werden erste KI-Anwendungen aus Public-Cloud-Umgebungen mit öffentlich verfügbaren Daten entwickelt. Danach können die KI-Anwendungen um „echte Transaktionen“ oder die Verarbeitung von eigenen Informationen erweitert werden. Hierbei kommen Private-Cloud-Technologien im eigenen Rechenzentrum zum Einsatz. Diese auch Hybrid Cloud genannte Kombination aus Public und Private sollte idealerweise in der beschriebenen Reihenfolge eingesetzt werden.

ITD: Welche Rolle spielen Big Data für KI-Systeme?
Hildesheim:
Ein KI-System ist nur so gut, wie die Daten, mit denen es trainiert wird. Daten sind somit der Dreh- und Angelpunkt. Deshalb passen die beiden Technologien gut zusammen: KI kann helfen, Trends und Muster in Big Data zu finden, die andernfalls falsch interpretiert oder komplett unentdeckt bleiben würden. Sie macht aus Big Data Smart Data. Gleichzeitig kann KI erst durch Big Data ihr volles Potenzial ausschöpfen, weil sie mit extrem vielfältigen Daten umgehen muss.

Fairerweise muss man aber auch sagen, dass viele KI-Anwendungen heute gar nicht viele Daten brauchen, sondern sogar schon mit wenigen Trainingsdaten gute Ergebnisse erzielt werden können. Insofern suggeriert die Frage, dass KI immer komplex ist und immer viele Daten braucht. Das ist nicht der Fall. Gerade bei KI zur Textverarbeitung kommt es mehr auf die richtigen Daten an, als auf deren Menge.

ITD: Stichwort „Kollege KI“: Wie sehen Mitarbeiter den Einsatz von Künstlicher Intelligenz? Sind ihre Sorgen begründet? Wo hat der Mensch auch in Zukunft gegenüber Algorithmen Vorteile?
Hildesheim:
Unser zentraler Leitsatz in der Entwicklung und im Umgang mit KI ist, Menschen mit unserer Technologie in ihrer Arbeit bestmöglich zu unterstützen, nicht etwa sie zu ersetzen. Entlastung und Unterstützung kann KI besonders bei sich wiederholenden, wenig anspruchsvollen Aufgaben bieten, die aber viel Zeit kosten. Übernimmt eine KI diese Aufgaben, bleibt mehr Zeit für kreative, komplexe Fragestellungen.

ITD: Welche Risiken bergen KI-Systeme und wie kann man diese Risiken minimieren?
Hildesheim:
Ein Beispiel: Bei der Kreditvergabe oder bei der Vorauswahl im Bewerbungsprozess beziehen sich die lernenden Maschinen auf statistische Modelle aus einer Vielzahl von Datenquellen und Parametern. Die Herausforderung dabei: Enthalten die Daten unbewusste Vorurteile, Stereotype und altmodische Rollenbilder, werden diese von den lernenden Algorithmen nicht nur übernommen, sondern noch zusätzlich verstärkt. Werden KI-Systeme nicht mit soliden und vielfältigen Datensätzen optimiert, kann die Genauigkeit leiden, können die Ergebnisse verzerrt werden und damit auch die Fairness leiden. Deshalb müssen wir, andere KI-Entwickler und die Forschungsgemeinschaft im Ganzen sehr genau darauf achten, welche Daten zu Trainingszwecken verwendet werden.

Zu einer transparenten Offenlegung der Entscheidungswege von KI gehört auch, dass jede Vorhersage, jede Modellversion und jegliche Trainingsdaten dokumentiert und gespeichert werden – und damit Unternehmen bei der auditsicheren Einhaltung von Compliance-Richtlinien und der DSGVO unterstützt. Das ist besonders in stark regulierten Branchen wie dem Finanz- und Gesundheitswesen oder auch in datenintensiven und -sensiblen Branchen wie der Automobil- oder der Pharmaindustrie relevant, in denen die Einhaltung der DSGVO und anderer umfassender Vorschriften erhebliche Hindernisse für eine breite Anwendung von KI darstellen.

ITD: Stichwort „KI-Governance“: Wie laut ist der Ruf nach einer gesetzlichen Regulierung von KI? Inwieweit sollte es Ihrer Ansicht nach Gesetze und Vorschriften zur Regulierung von KI geben (Stichworte „Ethik“, „Sicherheit“ und „Datenschutz“?
Hildesheim:
Das Prinzip „Mensch mit Maschine“ ist einer der Grundpfeiler der Diskussion zum Thema „Ethik in der Künstlichen Intelligenz“. Die von der Europäischen Union zum Thema „KI“ eingesetzte High Level Expert Group hat Anfang April 2019 eine der weltweit ersten staatlich initiierten Leitlinien für die Entwicklung und Umsetzung von Ethik in der KI veröffentlicht. Aktuell in Vorbereitung ist ein Weißbuch zum Thema „KI“, das sich u.a. auch den Risiken der Technologie widmet. Das Thema „Ethik“ spiegelt sich natürlich auch in der Arbeit der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ des Bundestages wider. IBM ist sowohl in dem Expertengremium, das die EU Kommission berät, wie auch in der Enquete-Kommission des Bundestages vertreten. Uns als Technologieunternehmen ist es besonders wichtig, dass nicht nur die politischen, sondern auch die ethischen Rahmenbedingungen angesprochen werden. Denn wenn wir neue Technologien – hier KI – zur Marktreife bringen, müssen wir auch die Voraussetzungen für den verantwortungsbewussten Einsatz dieser Technologien schaffen.

Dieses Ziel, eine verantwortungsvolle und gemeinwohlorientierte Entwicklung und Nutzung von KI zu bewirken, teilen wir mit den politischen Instanzen und verfolgen diesen Grundsatz auch als eigenes Unternehmensprinzip. Bereits im Jahr 2017 haben wir Richtlinien dazu veröffentlicht – siehe beispielsweise „Transparency and Trust in the Cognitive Era“ oder „IBM’s Principles for Trust and Transparency“. Unsere Auffassung ist, dass KI-Lösungen – zur Ergänzung des Menschen – immer einem bestimmten Zweck dienen und dieser Zweck auch transparent gemacht werden soll. Weiterhin ist es für den professionellen Einsatz von KI unerlässlich, dass die verwendeten Daten – sofern nicht öffentlich zugänglich – ihrem Urheber, d.h. unseren Kunden und den Nutzern, gehören, genauso wie die daraus gewonnenen Erkenntnisse. Und es muss so gut wie möglich sichergestellt sein, dass die Ergebnisse aus einem KI-System erklärbar sind und es Möglichkeiten gibt, etwaige Voreingenommenheit zu erkennen und gegenzusteuern.

Ich selbst bin Mitglied der Steuerungsgruppe zur Erarbeitung einer „Normierungsroadmap KI“ für Deutschland, die im Auftrag der Bundesregierung die ethischen, technischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen detailliert, um Deutschland im Bereich „KI“ erfolgreich ins 21 Jahrhundert zu führen.

ITD: Welchen Stellenwert räumen Sie dem im Aufbau befindlichen KI-Observatorium ein, das im Frühjahr 2020 im Bundesarbeitsministerium (BMAS) eröffnet werden soll?
Hildesheim:
Wir begrüßen, dass sich auch das Arbeitsministerium mit dem Einsatz von KI in der Arbeitswelt beschäftigt. Wir selbst haben zusammen mit Verdi und der Universität Maastricht eine Studie angestoßen, die sich mit dem Thema beschäftigt. Die Studie wird auch vom BMAS unterstützt. Beim Thema „KI und Arbeitswelt“ gibt es bestimmt viele Gemeinsamkeiten, deshalb bringen wir unsere Erfahrung in dem Gebiet gerne im KI-Observatorium ein.

ITD: Warum ist KI heutzutage wichtig und was sollte sie 2020 leisten können?
Hildesheim:
Die Kernkompetenzen von KI-Technologien sind Spracherkennung und Dialogfähigkeit. Hinzu kommen ihre Möglichkeiten, enorme Mengen strukturierter und unstrukturierter Daten wie Bilder oder schriftliche Aufzeichnungen zu verarbeiten, dabei Muster zu erkennen und Korrelationen herzustellen. Auf Basis dieser Eigenschaften können diese Technologien Hinweise und Ratschläge für die Optimierung von Produktionsprozessen, Wartung und Reparatur geben, sie können Alarm schlagen, wenn konkrete Maschinenprobleme auftreten, können Fehler finden oder auch Attacken aus dem Cyberspace aufdecken und abwehren.

Bildquelle: IBM

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